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Vorspannung

Angeregt durch einen Hilferuf eines Teilnehmers im Internetforum Bastelstube, möchte ich Euch heute erklären, dass Vorspannung nicht nur die freudige Erwartung auf ein kommendes Ereignis sein kann, sondern auch beim Fräsenbau zur Anwendung kommt. Diese Erklärung erfolgt wie immer nicht hochwissenschaftlich, sondern mit den für mich üblichen einfachen Worten. Als anschauliches Beispiel zeige ich hier eine typische Anwendung von Vorspannung im Hochbau, z.B. im Brückenbau:

Vorspannung

Aber auch, wenn zwei Teile miteinander beweglich verbunden sind, benötigt man Vorspannung. Wir haben ja das Ziel (z.B. von uns Fräsenbauern), dass diese Verbindung möglichst spielfrei zustande kommt, um präzise Bewegungen zu erhalten. Vorgespannt werden mehr technische Teile, als man zunächst glaubt: So gut wie jede Brücke ist vorgespannt, die Eisenbieger spannen ihre Baustahlgeflechte, die später im Beton veschwinden, ja sogar die Fahrradhersteller spannen die Pedal-Tretlager (-achsen) von Fahrrädern genauso vor, wie wir Maschinenbauer unsere Bauteile. Doch das zu Erreichen, ist gar nicht so einfach. Anschauliche Beispiele von Vorspannung liefern uns auch noch Sachen, die uns alltäglich Umgebung, zB. finden wir auch Vorspannung bei vielen uns geläufigen Fortbewegungsmitteln:

Wenn die Lenkung unseres Autos „flattert“, hält es die Spur nicht besonders gut und das ist für uns unangenehm und sogar gefährlich.

Wenn die Straßenbahn auf den Gleisen fährt und der Radabstand nicht identisch mit der Spurweite der Schienen ist, kann der Zug darin schlingern und letztendlich aus den Schienen springen.

Also wird man bemüht sein, dieses Spiel möglichst schlau, aber kostengünstig zu eliminieren. Bei der Fräse betrifft das insbesondere die Bauteile

+ Linearführungsschienen/-Wagen,
+ Kugelgewindespindel/-Muttern und
+ Festlager.

linearführungswagen  FestlagerKugelgewindemutter

Aber auch andere Teile, wie zB. die Klauenkupplungen sollen möglichst spielfrei sein. Wikipedia erklärt übrigens Vorspannung äusserst knapp und zunächst ziemlich nichtssagend:

Vorspannung ist eine ohne äußere Belastung in Bauteilen vorhandene mechanische Spannung, die bei Produktion oder Montage eingebracht wird, um im Lastfall das gewünschte Verhalten zu erreichen.

Bei unserer Straßenbahn fällt uns sofort auf, dass das Schlingern in dem Moment verschwunden ist, als sie in eine Kurve fährt. Es wirkt nämlich genau dann die Zentrifugalkraft und die Räder werden auf die eine Seite gepresst, liegen dadurch optimal an der Schiene an und das Schlingern ist weg. Bei unserem Auto passiert Ähnliches: In dem Moment, wo wir lenken, ziehen wir mit dem Lenkgetriebe an den Zähnen in eine Richtung und das Schlingern ist weg, weil die Zähne anliegen können und die „Luft“ dazwischen weg ist (früher, bei den alten Autos, und heute noch bei den Kinder-GoKarts, ging/geht das recht effektiv mit einer Zahnstange). Es wäre also nichts einfacher, als ständig Kurven zu fahren, um Vorspannung zu erzeugen. Doch wäre es nicht eine noch bessere Idee, das Spiel der Lenkung in beiden Richtungen verschwinden zu lassen? Das geht, wenn es gelingt, den Druck auch in der anderen Richtung aufzubauen, sozusagen das gewünschte Teil in der Mitte einzuzwicken.

Dazu wieder ein Beispiel: Wenige Menschen, in der Straßenbahn stehend, können leicht umfallen. Wird es aber eng, weil viel zu viele Leute mitfahren, erzeugen wir „Vorspannung“, das Werkstück „Fahrgast“ wird gerade mal soviel eingeklemmt, dass es weder umfällt, noch zerstört wird.

Wie erreicht man das bei einer Fräse?

1. BEI LINEARFÜHRUNGSSCHIENEN

Bei Wagen und Linearführungen ist es ganz leicht: Der Wagen rollt ja wie eine Standseilbahn auf der Stange („Führungsschiene“), aufliegend auf vielen Kugeln. Wenn nun herstellerseitig die Kugeln geringfügig grösser ausgewählt werden, als der Abstand eigentlich ist, müssen sich Wagen und Linearführung zusammenzwängen und „gfrettn“ (ostösterreichisches Wort für „wenig Platz für viele Leute teilen“), damit es trotzdem noch irgendwie geht. Also ähnlich unserer Personen am „Perron“ unserer „Tramway“ (auf der Plattform unserer Straßenbahn). Logisch ist, dass die Wagen danach auf der Führungsschiene nur sehr schwer laufen werden und unsere Schrittmotoren mehr Arbeit verrichten müssen. Deswegen kann man auch beim Kauf verschiedene Abstufungen der Vorspannung bestellen. Die Hersteller verwenden dann jeweils pro Kunden andere Kugelgrössen.

2. BEI KUGELGEWINDESPINDELN

Bei Kugelmuttern ist diese Vorspannung ähnlich leicht zu erreichen. Innerhalb der Kugelgewindemutter laufen in mehreren Bahnen viele Kugeln, auf der einen Seite ist die Mutter, auf der anderen die Kugelgewindespindel. Das ist auch der Grund, warum eine Kugelgewindespindel optisch so leicht von einer Trapezgewindespindel zu unterscheiden ist:

Die Kugelgewindespindel hat eine runde Spiralwendelung – auf diesen beiden Fotos ist das sehr schön zu erkennen:

kugelspindel trapezspindel

3. BEI DEN FESTLAGERN

Bei Festlagern ist es, wie man in meinem Beitrag „Umbauanleitung …“ lesen kann, leider nicht so einfach. Hier gehört schon mehr räumliches Vorstellungsvermögen dazu und gerade die letzten Anfragen bewegen mich dazu, diesen Artikel durch ein praktisches Experiment auf einfache Weise darzustellen:

Nehmt Euch einfach 2 billige Kugellager vom Sporthandel (Rollschuhe) um etwa € 0,70 pro Stück, legt sie aneinander und presst sie mit Deinen Fingern an den Außenschalen zusammen. Wenn Ihr dann die Innenschalen axial 1mm bewegen könnt, wisst Ihr, was ich meine. Die Kugeln sitzen nämlich locker in ihren Bahnen. Dann nehmt Euch noch eine  Distanzscheibe, Beilagscheibe, oder was immer Ihr daheim habt, legt sie dazwischen, um provisorisch die beiden Kugellager (nur außen) auf Distanz zu bringen. Notfalls könnt Ihr Euch so eine Distantscheibe auch aus Karton zuschneiden. Dann haltet die äusseren Schalen wiederum mit den Fingern zusammen und presst die inneren Schalen aneinander. Ihr werdet sehen, plötzlich ist das Spiel verschwunden.

Funktionieren „tut das“ , wie in meinem für Euch rasch angefertigten Video – im Video sind Texte eingeblendet, die das, was ich da mache, im Detail erklären. Auch unter dem Youtubevideo steht ein ausführlicher Text, den gebe ich hier nach dem Video nochmals wieder:

httpv://www.youtube.com/watch?v=sNoysdrP5Pg

Jedes Kugellager hat zwischen seinem  Innen- und Außenring, bedingt durch lockere Kugelbahnen und absichtlich etwas zu kleine Kugeln, immer ein wenig Spiel. Zwei Kugellager aneinandergestellt, haben auch Spiel, da sie ja nur aneinanderliegen und das erste Lager lediglich das zweite Kugellager innen mitschiebt, anstatt diese „axiale Bewegung“ aufzuhalten oder gar zu blockieren. Diese Lösung nennen die Experten „schwimmende Lager“ und werden dort verwendet, wo axiales Spiel von oft bis zu einem Millimeter nicht stört oder sogar erwünscht ist:

schwimmende Lager

Wenn man aber nun einen kleinen Spalt (Abstand) zwischen die äusseren Ringe der beiden Kugellager bringt, liegen die inneren Ringe der beiden Kugellager nicht mehr plan aufeinander, sondern haben ebenfalls einen kleinen Spalt dazwischen. Diesen Spalt nutzen wir, um eine „Vorspannung“ aufzubauen: Wenn es uns nun noch gelingt, die inneren Kugellagerringe zueinander zusammenzudrücken, presst es die jeweiligen Kugeln gegen die Laufbahnen und das Spiel ist verschwunden. Diese Art nennt man O-Vorspannung (die Kugeln werden bei jeder Vorspannung seitlich gegen die Laufbahn gedrückt, egal, ob O- oder X-Vorspannung):

Vorspannung durch Kugelbahn

Spannt man hingegen die äusseren Kugellagerringe zusammen und die Distanzscheiben kommen zwischen die inneren Kugellagerringe, nennt man diese Art X-Vorspannung. Das Zusammenpressen kann zB. ganz einfach durch eine Spindelachse mit Gewinde (zB. mit einer Trapez- oder Kugelgewindespindel) erfolgen, auf der mit Muttern beide Kugellager eingezwickt werden.

Die richtige Vorspannung einzustellen, ist eine Geduldsarbeit und gelingt selbst Profis nicht auf Anhieb. Es ist keine Schande, vielfach nachzustellen, zu hören, zu fühlen, zu schauen, und selbstkritisch allerlei Einstellungen zu erproben. Nur bitte Aufpassen: Wer gleich anfangs „volle Pulle“ zusammenquetscht, kann seine Kugellager gleich wegwerfen. Mit viel Gefühl und Geduld sich scheibchenweise ans gewünschte Ergebnis rantasten, ist der richtige Weg! Eine Faustregel kann sein, die Lager so fest einzustellen, dass die Kugelgewindespindel mit 2 Fingern gerade noch, ohne daß die Finger dabei wehtun, drehen geht.

Allerdings ist es dann im Echtbetrieb an der Fräse notwendig, dass die beiden Kugellager mit den äußeren Schalen auch wirklich fix montiert sind und in den Lagerblöcken nicht hin- und herrutschen können. Das kann dann zB. so ausschauen:

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(Bild: (c) und geliehen von Hermann Möderl)